Einmarsch der Amerikaner am 22. April 1945 in Lippach
Ich war Achteinhalb Jahre alt. Das einzige was mir noch klar in Erinnerung ist, dass die Mutter einen Tag vorher einen Kuchen gebacken hat. Dieser wurde im Keller in der Scheune aufbewahrt. Großer Schutz für uns Menschen hat der Keller nicht geboten. Deshalb gingen wir: Vater-Mutter-Resi- Maria- Berta- Rosa und ich nicht in den Keller.
Resi damals 18 Jahre Alt merkte als erste, dass unser Haus von einer Granate getroffen war. Der Vater reagierte sofort und machte die Kühe los, den Schweinestall auf und alles Vieh in den Hof freilaufen lassen. Das Vieh wurde an der Halskette zusammen gebunden und zum Schnele (Frankenreiter) in den Hof gebracht. Die Schweine duften frei umher laufen. Das Haus brannte - brannte nieder und fiel in sich zusammen. Mutter machte trotzdem erste Hilfe bei einem angeschossenen deutschen Soldaten.
Er verkroch sich im Stadel von Moritz Meine Mutter hat ihn verbunden und den Amerikanern übergeben. Als die Soldaten auf der Straße waren mussten alle Zivilisten zum Egetemayer in die Wohnstube. Vor uns im Zimmer standen zwei Soldaten und hantierten mit ihren Gewehren, wie wenn sie uns erschießen wollten. Parallel durchsuchten andere Soldaten den Keller und den Speicher. Unser Problem war dann - wo kommen wir unter? Wo schlafen wir?
Zum Glück hatte Anton Frankenreiter einen Gesindetrakt in seinem Haus, der normal für die Mägde und Knechte gebraucht wurde. Diese Räume bekamen wir für unsere ganze Familie. Aber wir hatten ein Dach über dem Kopf. Am meisten bleibt mir dieser Bauern-Hof in Erinnerung, weil dort mein ältester Bruder Andreas aufgebahrt war - nachdem er im Wald beim Holz fällen - von einem Baum erschlagen wurde. Wenn man all diese Schicksalsschläge zusammen betrachtet, sieht man erst welch hartes Schicksal unsere Familie durchgemacht hat.
Wir waren Arm – Bettelarm, es hat mir nicht geschadet. Dadurch habe ich gelernt wie wertvoll alles Gut um mich war. Wenn ein Brett verbrannt werden sollte – wurde zuerst der Nagel- der im Holz steckte gerettet und weiterverwendet. Ich schätze heute noch jedes Blatt Papier, bis ich die zweite Seite auch vollgeschrieben habe.
Da ich ganz unten war, ging es bei mir – „immer aufwärts“- dadurch hatte ich ein so erfülltes Leben.
Der Anstoß zu diesem Ereignis kam von Hans Scheu. Er war ungefähr gleich alt wie ich und hütete auch eine Gänseschar. Nachmittags besprachen wir - wer von uns beiden wohl morgen früh -am ersten auf dem Acker mit seinen Gänsen sein wird. Es war also eine Wette - ohne Preis - ausgesetzt. Es ging nur um die Ehre. Ich erzählte das meinem Vater – dann meinte der: „ich wecke dich vor 6 Uhr“ Das klappte alles bestens - es war fast kein Mensch auf der Straße. Das größte Glück war, dass der Hund vom Sattler (Beruf) – der sonst immer mich bedrängte- noch nicht auf der Straße war. Ich zog mit meiner Gänseschar vorbei und gleich rechts auf unseren Acker, der hinter dem Kreuzweg etwas erhöht hinter dem Friedhof in Lippach lag. Die Sonne schien schon am Horizont - es war aber noch sehr kühl. Das Korn war erst mit der Sense geschnitten worden- mit den Händen aufgesammelt und zu Garben gebunden. Diese Garben wurden zu Mandeln aufgestellt- sahen aus wie Kirchturmspitzen – In diesen Mandeln trocknete der Halm und die Ähren bis zur vollkommenen Reife. Das frühe Aufstehen hinterließ bei mir doch Spuren. Deshalb öffnete ich eine Mandel im unteren Teil des Ackers und legte mich hinein. Die Gänse waren auf den ganzen Acker verteilt. Ich schlief selig, bis ich an den Ohrläppchen von einer Gans geweckt wurde. Ich öffnete meine Augen – bewegte mich aber nicht- denn alle meine 15 Gänse lagen im Kreis um mich. Teils auf meinen Füßen. Dies war der schönste persönliche Augenblick in meinem Leben, den ich heute noch spüre. Gottes Gnade bezeichne ich diese Vorgänge- unsere Buchhalterin sagte – ich sei unter einem guten Stern geboren.
Resi hat mich in Liebe aufgezogen- Sie war damals 10 und hat mich als Ihr Baby verwöhnt. Ich bin stark überzeugt, dass Sie die Liebe in mein Herz gepflanzt hat. Sie wurde von Beruf Frisöse und vermittelte mich damals als Lehrling an die Firma Leitz. Die Besitzerin wurde von Resi immer frisiert. Dabei brachte Resi ins Spiel, dass sie einen Bruder hat, der eine Lehrstelle sucht. Frau Leitz sagte: Wir haben eine Aufnahmeprüfung für Lehrlinge. Resi brachte das Anmeldeformular mit - dann meldete ich mich an. Bei der Aufnahmeprüfung waren 60 Jugendliche im Raum.14 davon wurden als Lehrling angenommen- ich war dabei.
Die Schwester Maria hat mich an jedem Gewerbeschultag, an dem ich in Aalen zur Schule ging, mittags verpflegt. Maria war im Haushalt - Besitzerin eines Bekleidungsgeschäfts in Aalen. Da merkte ich zum ersten Mal richtig die Familie. Man hilft sich wo man kann. Die Gewerbeschulzeit ging ja über 3 Jahre.
So fand ich Elisabeth:
Die Arbeitsstelle passte eigentlich nicht richtig in meinen Lebensplan. Aber entscheidend war für mich, dass ich am zweiten Tag durchs Fenster in das Büro von Elisabeth schaute – Sie schaute zurück und schon war es geschehen. Nach der Arbeit marschierten wir zu zweit in mein Zimmer - dann ist es geschehen. Wir waren beide verliebt. Es hat noch zwei Jahre Kampf bedeutet bis der Weg frei war zu einer Ehe mit Elisabeth. Sie war ja mit Heinz verheiratet. Die Trennung von Heinz war deshalb so schwierig – weil er immer nur weinte. Er schimpfte nicht – er weinte. Elisabeth kochte sehr gut – sie brachte am Samstag immer das Mittagessen zu mir ins Zimmer – da schmeckte dann das Essen noch besser.
Das Problem begann erst als ich den Wunsch äußerte :
„Elisabeth ich will dich heiraten“
Da lachte sie schallend. Der Beweis für Gottesgnade kann sich auch verkehrt herum positiv auswirken. Die Anni hatte immer etwas zu kritisieren. Im Anfang habe ich mich zusammengerissen, um alles richtig zu machen. Das demoralisierte mich so stark, dass ich innerlich immer zitterte und aufgeregt war. Ich schwitzte Nachts das Bett nass. Einmal hat sie es dann übertrieben. Ich sagte kein Wort. Ich suchte den ersten Brief an Anni heraus und schrieb nur einen Satz darunter: „Das Ganze war ein großer Irrtum“ So gingen wir auseinander ohne ein böses Wort. Nun wollte ich ja nicht wieder ins Leere fallen- deshalb rief ich bei Margarete an. Sie kam am Samstag um 10 Uhr und hat mich aufgebaut.
Sie kam am Samstag um 10 Uhr und hat mich aufgebaut. Margarete hatte sich von George (Schorch) getrennt deshalb saßen wir im gleichen Boot. Wie war es aber möglich, dass ich die Karte von Margarete - die sie vor Jahren geschrieben hatte - in dem Moment auf meinem Küchenschrank fand auf der zu lesen stand: „Ich wünsche mir, dass es Ihnen gut geht! Sollte es mal nicht so sein, melden Sie sich bei mir, Ich freue mich auf ein baldiges Wiedersehen.“ Wir trafen uns- feierten Weihnachten und Silvester 2020.Ich freundete mich mit den Kindern an – wie eine richtige Familie.
Schläge
Mein ungelöstes Rätsel meines Lebens war, warum ich nie Schläge bekommen habe. Meine Mutter hatte keinen Grund-mein Vater wollte mich mal Strafen – dann lief ich ihm weg. Meine Mutter hat nicht mit Worten gestraft, sondern nur mit der Hand. Meine älteren Geschwister konnten ein Lied davon singen. Als die Eltern zu Besuch bei der Nachbarschaft waren – tobten die 5 Kinder in der Wohnung – da war natürlich alles durcheinander. Als die Eltern wieder Nachhause kamen gab es der Reihe nach Dresche. Was dadurch besser werden konnte- war niemand klar. Das Ergebnis kam Jahre danach zum Ausdruck. Als der Zweitälteste „Anton“ eine neue Bekleidung bekam – hat er geweint. Auf die Frage der Mutter: Warum heulst du? Sagte Anton: Wenn die schmutzig ist – bekomme ich wieder Schläge. Die letzte die diese Hand zu spüren bekam war, meine jüngste Schwester Rosa bei einer Fronleichnamsprozession. Der Weg von der Kirche bis ins Hintere Weiler (ca. 1 km lang) war ihr zu weit. Sie grandelte und wollte nicht mehr gehen. Dann kam die Hand wie aus heiterem Himmel auf das Hinterteil meiner Schwester. Dann ging es wieder.
Galoppierende Pferde sind mir heute noch in Erinnerung. Mein Arbeitsplatz war in Westhausen bei der Firma Universal. Das waren über Wald-und Feldwege ca. 7 Kilometer zu laufen. Maria Liesch hat immer meine Vespertasche im Bus mit in die Firma nach Westhausen mitgenommen. Inzwischen bin ich in Lippach die Kirchstraße hochgelaufen - durch den Wald, dann über freies Feld bis zu der Pferdeweide. Da ich immer etwas für die Pferde in der Tasche hatte kamen diese im Galopp an das Einlass-Gitter. Dann bekam jedes Pferd etwas in den Mund gesteckt, dann lief ich weiter an Schönberg vorbei über das Jagsttal bin nach Westhausen in die Firma Universal. Die Laufkleidung wurde an den Ofen gehängt und bis abends getrocknet, abends ging es – die Sieben Kilometer - wieder zurück nach Lippach. Das hat mir das Laufen so nahegebracht, dass ich ein Leben lang lief. Später kam ein Marathon und ein Hundert Kilometer Lauf dazu. Jetzt mit 84 Jahren laufe ich jeden zweiten Tag etwa sieben Kilometer durch den erwachenden Tag.